Zwei ganze Jahre dauert es, bis ein konventionell wirtschaftender Milchviehbetriebe auf zertifizierte Bio-Milchproduktion umgestellt ist. Der Familienbetrieb Witzenhäuser Weidemilch der Geschwister Ute Ebel und Anita Kelmendi steckt mitten in der Umstellung und auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob die meiste Arbeit noch ansteht.
Bei genauerem Hinschauen sieht man jedoch, wie viel sich schon verändert hat seit Anfang 2020.
Vom Umstellungsprozess sind im wesentlichen zwei Bereiche betroffen:
Das Futter, das im vergangenen Jahr, also im ersten Umstellungsjahr geerntet und über den Winter verfüttert wurde, ist noch konventionell angebaut worden. 2020 wurden keine Dünge- oder Unkrautvernichtungsmittel mehr eingesetzt. Alles, was dieses Jahr geerntet wird, ist Umstellungsfutter. Erst die Ernte im dritten Jahr nach Beginn der Umstellung ist anerkanntes Biofutter. Der eigentliche Umstellungsprozess der Ackerflächen ist aber für den Betrieb nach dem ersten Jahr vollzogen. Danach muss zum Beispiel wesentlich mehr Zeit für die Unkrautbekämpfung eingeplant werden, besonders im Frühjahr.
Derzeit werden 26 Milchkühe gehalten, die täglich zweimal gemolken werden. Von April bis Oktober verbringt die Herde die meiste Zeit des Tages auf der Weide. Dort genießen sie nicht nur ihre volle Bewegungsfreiheit, sie haben auch das bestmögliche Futter. Trotzdem muss zusätzlich noch Kraftfutter vor allem wegen des Eiweißbedarfs zugefüttert werden.
Der Bedarf an Bio-Eiweißfuttermittel in Deutschland ist größer als das Angebot. Seit 15 Jahren wird auf den Feldern der Familie Ebel Raps als Futterpflanze angebaut. Das Risiko von Ernteausfällen durch Schädlinge, Krankheiten oder Spätverunkrautung ist bei Bioraps extrem hoch. Deshalb soll der Bedarf an Eiweißfutter durch den Anbau von Erbsen, Bohnen und Lupinen gedeckt werden.
Bei der Haltung geht es im wesentlichen darum, die bisher praktizierte Anbindehaltung zu ersetzen durch eine große Freilauffläche und reichlich Platz zum Ausruhen im Stroh. Ab dem 1. Juli dieses Jahres müssen die Umbaumaßnahmen in den Ställen den Vorgaben der EU-Rechtsvorschriften für den ökologischen Landbau entsprechen.
Für die 26 Milchkühe wird dazu eine 300 m² große Scheune umgebaut. Man kann schon erkennen, dass es ein schöner Platz für die Tiere werden wird mit viel Bewegungsfreiraum und einem großen Ruhebereich.
Ein sehr komfortabler Abkalbestall ist bereits seit einigen Monaten in Betrieb. Auch die Räume für die Jungtier-Gruppenhaltung sind bereits fertiggestellt.
Dort kann man jetzt schon beobachten, dass es den Tieren in den neuen Räumen wesentlich behaglicher ist. Anita und Ute freuen sich darüber besonders und so ganz nebenbei gehen dann auch die täglichen Arbeitsabläufe durch die komplette Umstrukturierung wesentlich leichter von der Hand.
Noch nicht ganz geklärt ist, ob für das tägliche Melken ein neuer Melkstand eingerichtet wird, oder ob die alte Melkanlage, wo man mit dem Melkgeschirr durch die Reihe geht, auch weiter im Einsatz bleibt.
Das Futter und die Art der Haltung machen im wesentlichen die Qualität der Bio-Milch aus. Aber es gibt noch ganz andere Faktoren, die heute im Kontext der Milchproduktion eine wichtige Rolle spielen. Auch für den Verbraucher rücken zwei Faktoren immer mehr in den Fokus und bestimmen das Kaufverhalten.
Der Sachverhalt ist einfach, eine ethisch akzeptable Lösung muss noch gefunden werden. Jedes Jahr muss eine Kuh ein Kalb zur Welt bringen, damit sie weiter Milch geben kann. Für die eigene Nachzucht werden nur wenige Kälber gebraucht, für die anderen, besonders für die männlichen, ist in einem Milchviehbetrieb kein Platz.
Auch bei Biobetrieben ist es die Regel, dass die Kälber schon nach wenigen Wochen an konventionell wirtschaftende Mastbetriebe abgegeben werden. Das Immunsystem der Tiere ist noch sehr schwach und der Einsatz von Antibiotika gehört auf solchen Mastbetrieben zur Tagesordnung. Die Tiere haben kaum Bewegungsfreiheit und werden schon nach wenigen Wochen geschlachtet. Das ist, vereinfacht und knapp zusammengefasst, das ethisch-moralische Problem, für das es bisher noch keine Lösung gibt. Wohl aber ist vielen Erzeugern und Konsumenten diese Sache sehr bewusst und es entwickeln sich immer mehr Initiativen, die Lösungen für einen anderen Umgang damit finden.
Für Ute Ebel und Anita Kelmendi ist das Wohl der Tiere der wichtigste Faktor bei der Umstellung auf Bio und entsprechend umtriebig sind sie in Sachen Kooperation mit anderen Betrieben in der Region. Ziel ist es, die Kälber, wenn sie keine Milch mehr bekommen, an Biobetriebe abzugeben, in denen die bestmögliche Tierhaltung gewährleistet ist.
Zurzeit gelingt eine solche Kooperation schon mit dem Rautenbachhof in Blickershausen, der vor kurzem 2 Kälber von den Ebels übernommen hat. Das Fleisch wird dann ausschließlich hier in der Gegend vermarktet. Eine weitere regionale Kooperation ist gerade mit Kyffhäuser Weidefleisch entstanden, die im Frühjahr 2 Bullen aus Albshausen in ihre Herde aufnehmen.
Das alles kann natürlich nur funktionieren, wenn die Produktionsbedingungen transparent sind und bei den Menschen, die Milch trinken möchten, eine entsprechende Wertschätzung gegeben ist. Ihre ehrgeizigen Ziele können die beiden nur zusammen mit den Verbraucher*innen erreichen.
Es ist für den kleinen Familienbetrieb ein gigantischer Kraftakt, die Umstellung auf Bio zu bewerkstelligen. In Sachen Tierwohl und Kälberproblematik werden Ziele verfolgt, die über die amtlichen Anforderungen weit hinaus gehen. Regionale Strukturen werden wieder aufgegriffen oder neu aufgebaut. Kurze Wege verkleinern den ökologischen Fußabdruck und kommen ganz direkt dem Wohl der Tiere zugute.
Der Rautenbachhof und Kyfhäuser Weidefleisch sind ein Teil des regionalen Netzwerks:
https://www.kyffhaeuserweidefleisch.de
Wir können hier nur ein Streiflicht auf das sehr komplexe Thema Milchproduktion werfen. Für eine weiterführende Auseinandersetzung ist hier eine kleine Auswahl an Quellen:
Schrot&Korn - Kälber: Jung, männlich, überflüssig?
Die überzähligen Kälber ? ein Tierschutzproblem der Milcherzeugung
Heimische Eiweißfuttermittel in der Milchviehfütterung
Seetaler Bote, Schweiz: Nur diese Lösung ist ethisch vertretbar.
Die 12 größten Milch-Mythen ? und was wirklich dran ist
DeMelkburen: Elternzeit für Kühe: In diesem Betrieb dürfen Kälber bei ihren Müttern bleiben